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Richtfest im Mai 2003
Der kleine Cosimo wird zum Spaziergang abgeholt – die Mutter ist alleinerziehend, Christa gehbehindert.
Das Plenum tagt.
Einzugsfest am 13.12. 2003 – Aufforderung zum Tanz nach dem Festprogramm, an dem sich viele MitbewohnerInnen beteiligt hatten.
Die wöchentliche Lieferung der „Food-Cooperative“
Das Baugebiet K6 in Darmstadt-Kranichstein
Das Modell des Gebäudes im Rahmen der Ausstellung „Agenda 21“ in Darmstadt – August 2002
Workshop „Soziales Zusammenleben“ bei Wohnsinn am 16.11. 2002
WohnSinn am 28. Dezember 2003 - Die Sträucher und Bäumchen sind gesetzt. Wir warten auf den Frühling.
Wer und was ist „WohnSinn“?
Kurzer Abriss einer langen Geschichte,
die gerade erst beginnt
Bewerbung um den Otto-Mühlschlegel-Preis der Robert Bosch Stiftung GmbH Zukunft Alter Leben - Wohnen - Altern (Ausschreibung 2003/2004) durch die Bau- und Wohngenossenschaft WohnSinn eG in Darmstadt
Gliederung
1 Die Vorgeschichte
2 Wer sind wir heute ?
3 Aus vielen Zielen wird ein Konzept.
4 Der lange Weg der Umsetzung
5 Die Verwirklichung einer Vision:
6 Erste Bilanz, Ausblicke und Wünsche
1. Die Vorgeschichte
1 Die Vorgeschichte
2 Wer sind wir heute ?
3 Aus vielen Zielen wird ein Konzept.
4 Der lange Weg der Umsetzung
5 Die Verwirklichung einer Vision:
6 Erste Bilanz, Ausblicke und Wünsche
1. Die Vorgeschichte
„Der kleinfamiliäre Wohnungsgrundriss; einreißen, umbauen, zusammen- oder querlegen
oder was?”
So lautete der Titel eines Vortrages, der vor 13 Jahren, im Herbst 1990, im Rahmen
einer Tagung gehalten wurde, zu der die Evangelische Erwachsenenbildung Darmstadt und
die Stiftung „Die Mitarbeit” unter der Überschrift „Alternative Wohnformen”
eingeladen hatte.
Aus TeilnehmerInnen dieses Forums sowie aus einigen Gruppen, die sich schon länger mit dem Thema „Wohnen im Alter” beschäftigt hatten, ging die erste Kerngruppe unserer heute bestehenden Genossenschaft hervor. Einige Mitglieder dieser Gründergeneration haben mit den in den Jahren danach Dazugekommenen die lange Durststrecke von 12 Jahren zwischen vagen konzeptionellen Vorstellungen, über Gestalt annehmende Pläne bis hin zum Bau des 2003 errichteten ersten Gebäudekomplexes – durchgehalten und bilden mit ihnen gemeinsam das stabile Rückgrat der Genossenschaft. Als eine Art „lebendes Gedächtnis” der Gruppe erinnern sie uns an die notwendige Zähigkeit und die Überzeugung von der eigenen Vision, die bürgerschaftliches Engagement braucht, damit sich schließlich Erfolg einstellt.
Damals wurde in ersten Arbeitsgruppen ein Konzept entworfen, mit dem Ziel, ein generationsübergreifendes, nachbarschaftliches und ökologisches Wohnprojekt zu schaffen. Im heute existierenden Wohnprojekt spiegeln sich diese Ideen wieder.
Auf der oben erwähnten Tagung, die wie eine Initialzündung wirkte, stellten die TeilnehmerInnen fest, dass viele andere Einzelne und Gruppen schon seit längerem an diesem Thema interessiert waren, dass also daran gegangen werden konnte, konkret zu planen und zu handeln. Wir studierten Berichte aus anderen ähnlichen Projekten, die schon weiter als wir waren, wie z.B. in Winterthur, Freiburg und Kempten und nahmen Kontakt mit den dortigen Planern und Bewohnern auf.
Bald traf sich eine stabile Gruppe regelmäßig in den Räumen des Darmstädter Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU), aus dessen Reihen nach und nach MitstreiterInnen hinzukamen und wichtige Impulse gaben. Am 08.12. 1992 wurde der „Förderverein Gemeinsames Wohnen Jung und Alt e.V.” gegründet. Aus den kreativen „Spinnern und Träumern” wurden Planer und Akteure, die sich mit möglichen Konzepten der inneren und der baulichen Struktur, mit den Problemen von Eigentum, Miete, Kreditbeschaffung und Nachhaltigkeit auseinander zu setzen hatten.
Die seit der Zeit der Genossenschaftsgründung stabil gebliebene „Kerngruppe”, ohne die kein Projekt dieser Größe vorankommen kann, erzielte in zwei Punkten rasch eine Übereinstimmung:
- Es sollte für eine zukünftige Bewohnerschaft geworben werden, die sozial gemischt sein sollte. Sie sollte häufig Benachteiligte, wie z.B. alleinerziehende Mütter und Menschen mit Behinderung einbeziehen, denen in unserer Gesellschaft zu wenig geeignete Wohnverhältnisse geboten werden.
- Es sollte eine mittlere Größe angestrebt werden, die sowohl enge Nachbarschaft wie auch die Freiheit zur Distanz untereinander ermöglicht.
Beim Nachlesen alter Protokolle und Berichte aus jenen „Gründerzeiten” fällt auf, dass die Konturen des heutigen Konzepts schon zu Beginn deutlich waren, wenn auch die konkreten Formen der Verwirklichung, wie sie damals gedacht wurden, noch erheblich von der heute erreichten Gestalt abwichen:
- Nachbarschaftliches Wohnen zwischen jung und alt: solidarische Nachbarschaftshilfe und gegenseitige Unterstützung nach den je spezifischen Möglichkeiten des Einzelnen
- Ökologisch sinnvolles Verhalten: geringer Energie- und Flächenverbrauch, autofreie Zonen, Verringerung von Stellflächen und Individualverkehr durch ein eigenes Carsharing-System
- Einbeziehung von Menschen mit Behinderung und barrierefreies Bauen sowohl im Interesse jetzt schon eingeschränkter Bewohner als auch im Hinblick auf später eintretende Behinderungen von Bewohner/Innen
- Gleichberechtigung aller Mitglieder und Engagement bei Selbstverwaltung und Gestaltung des Zusammenlebens
- Soziale Mischung bezüglich Alter, familiärem Status, Einkommen, Nationalität und gesundheitlichem Befinden
2. Wer sind wir heute ?
„Wir”, das sind nach wie vor der eingetragene Förderverein und die eingetragene
Genossenschaft – jeweils mit anerkannter Satzung und den dort niedergelegten Regeln –
und ganz neu unsere Hausbewohnerschaft von 83 Personen, im Alter zwischen wenigen
Monaten und Mitte siebzig (darunter 18 Singles und 27 Kinder unter 18 Jahren), die
begonnen hat, ihr nachbarschaftliches Zusammenleben zu regeln, zu verwalten und zu
gestalten.
Der Förderverein
Der 1992 gegründete gemeinnützige „Förderverein Gemeinsames Wohnen Jung und Alt
e.V.” ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband und dient als Diskussionsforum
und Dach für die Vorbereitung nachbarschaftlicher Wohnprojekte, für die er unter
anderem durch die Vermittlung von Expertenwissen (Ökologisches Bauen, Soziales,
Finanzierung) und von Erfahrungen mit vergleichbaren Projekten fördernd tätig war und
ist. Diese Funktion erfüllte er mit internen Beratungen, Lobby- und
Öffentlichkeitsarbeit sowie öffentlichen Veranstaltungen nicht nur in den
zurückliegenden Jahren. Er bewährt sich nach wie vor als Treffpunkt neuer
Initiativgruppen mit neuen Mitgliedern, die sich z.Z. neuen Projektideen zuwenden.
Die Genossenschaft
Als erstes Wohnprojekt wurde das im Herbst 2003 fertiggestellte Gebäude in Darmstadt
Kranichstein realisiert, nachdem sich zahlreiche Vereinsmitglieder zu einer
Projektgruppe zusammenschlossen und im Februar 1998 die Bau- und Wohngenossenschaft
WohnSinn eG gegründet hatten. Die damalige Entscheidung für die Rechtsform einer
eingetragenen Genossenschaft hatte vor allem zum Hintergrund, dass diese autonome
Projektträgerschaft ein hohes Maß an rechtlicher und finanzieller Sicherheit für die
beteiligten Mitglieder bietet und gleichzeitig die Freiheit gewährleistet, Grundsätze
und Ziele des Zusammenlebens in der Satzung zu verankern. Hinzu kommt, dass
wesentliche Prinzipien des Genossenschaftsrechts unserem Selbstverständnis
entsprechen:
- NutzerInnen und TrägerInnen sind identisch.
- Jedes Mitglied hat unabhängig von seinem Kapitaleinsatz das gleiche Stimmrecht
- Die Nutzung durch die gleichberechtigten Mitglieder steht im Vordergrund, nicht die Rendite.
- Alle BewohnerInnen – Dauerwohnrechtseigentümer wie Mieter – sind bei allen Entscheidungen und bei der Teilhabe an den Gemeinschaftseinrichtungen gleichberechtigt.
- Die Genossenschaft verwaltet sich selbst. Dies bedeutete in der Bauphase und auch später, dass alle Entscheidungen z.B. über die Gestaltung des Gebäudes, der Gemeinschaftsräume und die Regeln für das Zusammenleben von den Mitgliedern getroffen werden
- Gemeinschaftsaufgaben, z.B. die Verwaltung des Wohnprojekts und im Garten anfallende Arbeiten, werden von den BewohnerInnen getragen. Hierzu wird ein Gemeinschaftsbüro eingerichtet.
- Arbeitsgruppen sind für die unterschiedlichen Aufgabenbereiche im Haus verantwortlich.
- 1/3 Haushalte mit Kindern
- 1/3 Haushalte mit BewohnerInnen unter 55 Jahre ohne Kinder
- 1/3 Haushalte mit BewohnerInnen über 55 Jahren
- mindestens 10% ausländische MitbewohnerInnen
- mindestens 10% Menschen mit Behinderungen
- 1/3 der Wohnungen im Eigentum der Genossenschaft als Mietwohnungen im Sozialen Wohnungsbau (1. Förderweg)
- Folgende gemeinschaftlich genutzte Räume sind bereits vorhanden. Es fehlen aber die Mittel um sie funktionsgerecht einzurichten: Kinder-Kreativraum, Werkstatt und Hobbyraum, Multifunktionsraum mit gemeinsamer Küche, Wintergarten, zwei Gästezimmer und ein Gäste-Appartement, das im Bedarfsfall auch als Wohnung für eine Pflegeperson genutzt werden kann. Ein behindertengerechtes Pflegebad, zwei Büros sowie zwei Wasch- und Trockenräume, zusätzlich ein großer Innenhof und eine auch mit Fahrstuhl zugängliche Dachterrasse.
- Über das Genossenschaftsbüro, das z.Z. entsteht, werden Hilfen z.B. bei der Kinderbetreuung, Einkaufen, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit vermittelt.
- Es existiert eine “Food-Cooperative” zum Bezug von ökologisch angebautem Gemüse und Obst direkt von einem landwirtschaftlichen Betrieb.
- Nach Engagement und Anlass wird sich um die Cafeteria im Multifunktionsraum ein Kultur- und Freizeitangebot entwickeln.
- Alle Bewohner mit welcher Einschränkung auch immer nehmen gleichberechtigt am Leben in WohnSinn teil, weil Unterschiedlichkeit für uns zum Leben gehört.
- Alle Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen sind barrierefrei über Laubengänge und Fahrstuhl zugänglich, so dass die Möglichkeit des gegenseitigen Treffens für alle gewährleistet ist.
- Sieben Wohnungen und alle Gemeinschaftsräume sind behindertengerecht ausgebaut.
- Geringer Energieverbrauch durch Passivhausstandard
- Geringe Flächenversiegelung durch Geschosswohnungsbau und Grasdach
- Verringerung von Stellflächen und Individualverkehr durch ein eigenes Carsharing- Konzept sowie einen Sondervertrag mit der Stadt, der eine Verringerung der vorzuhaltenden Stellplätze vorsieht und der zukunftsweisend für das gesamte Baugebiet und ähnliche Projekte sein könnte. (Bei der Entscheidung für das ausgewählte Baugrundstück spielte eine wichtige Rolle, dass das zur Verfügung stehende Areal von der Stadt Darmstadt den umweltpolitischen Zielen der Agenda 21 unterworfen wurde.)
Die Bewohner
Mit dem Einzug der BewohnerInnen in das schrittweise fertiggestellte Gebäude (August
bis Oktober 2003) hat die Entwicklung der nachbarschaftlichen Binnenstruktur und der
Selbstverwaltung des Gemeinschaftslebens begonnen. Während die Genossenschaftsgremien
(Vorstand und Aufsichtsrat) weiterhin für die Außenbeziehungen und die rechtlichen
Grundlagen des Projekts zuständig bleiben, hat ein von allen BewohnerInnen gewählter
Bewohnerrat die Koordination der hausinternen Aufgaben übernommen, die – nach
Sachgebieten aufgeteilt (z.B. Hausverwaltung, Hauserhaltung, Gemeinschaftsräume usw.)
– von Arbeitsgruppen bearbeitet werden. Letztlich entscheidend für Grundsatzfragen
bleibt jedoch das monatlich tagende Plenum der BewohnerInnen.
3. Aus vielen Zielen wurde ein Konzept.
Neben den zunächst stärker im Vordergrund stehenden ökologischen Zielen gewannen mit der Zeit die sozialen Ziele an Bedeutung. Mit zunehmender Realisierung des Objekts wurde der Kostendruck bei konsequent ökologischer Bauweise spürbar. Außerdem setzten städtische Vorgaben Grenzen. Ein Grund mag auch darin liegen, dass sich für die Gründungsgruppe in dreizehn Jahren Entwicklungsarbeit das Thema “Wohnen im Alter” in lebensnäherer Gestalt zeigt. Das Wissen um steigende Lebenserwartung verpflichtet zu einem möglichst vorausschauenden Älterwerden. Dabei kommen Wohnung und Wohnumfeld eine große Bedeutung zu. Sie sind entscheidend für eine möglichst selbständige Lebensführung trotz Einschränkungen bei Behinderung und im Alter. Bei gleichem Krankheitsbild, bei gleichem Grad der Immobilität, kann der eine Mensch in einer günstigen Umwelt noch völlig selbstständig leben, braucht keine wesentliche Hilfe, während der andere bei ungünstigem Umfeld, nicht mehr allein zurecht kommt und unselbstständig wird. Günstige Umwelt bedeutet aber nicht nur eine entsprechende Planung und Ausstattung der Wohnung, sondern eben auch ein kommunikatives Umfeld, also z.B. Kontakt zu Nachbarn aller Altersstufen.
Unterstützung kann im Bedarfsfall durch ambulante Dienste ergänzt werden. Dies ermöglicht im Idealfall ein Verbleiben der BewohnerIn im gewohnten Umfeld bis zum Lebensende. Unser heutiges Konzept geben die folgenden Ziele wieder:
Soziale Ziele
Gleichberechtigung und Mitbestimmung
Selbstverwaltung
Soziale Mischung
Um generationenübergreifendes Zusammenleben und eine lebendige Nachbarschaft zu
fördern, wurde eine sozial- und altersgemischte Bewohnerschaft mit Alten und Jungen,
Menschen mit geringerem und höherem Einkommen, Alleinstehenden, Familien und
Wohngemeinschaften angestrebt. Dabei wurde von folgenden Leitlinien ausgegangen, die
bisher ohne Ausscheidungskonkurrenz eingehalten wurden:
Nachbarschaftliches Wohnen - Nachbarschaftshilfe
Zu einer guten Nachbarschaft gehört die gegenseitige Unterstützung im Alltag und bei
Notlagen. Daneben kann die Hausgemeinschaft auch der Rahmen für Freizeitaktivitäten
und Feste sein.
Ökologische Ziele
Finanzieller Planungsrahmen
Für das Baugrundstück galt die Zusage der Stadt, dass Baugemeinschaften und Genossenschaften Erbbaurechtsverträge abschließen könnten. Für die einzelnen Wohnungen ergaben sich nach ersten Kostenschätzungen unserer Beraterfirma hieraus – je nach Ausstattung – Kosten in Höhe von 3.200 bis 3.600 DM/qm Wohnfläche, worin die mitzufinanzierenden Gemeinschaftsflächen und die jeweiligen Stellplatzkosten eingeschlossen waren. Für diesen Zweidrittel-Teil des Projekts sollte die Gesamtfinanzierung über individuell zu bewältigende Beschaffung von Eigen- und Fremdmitteln gesichert werden. Für das geplante weitere Drittel der Wohnungen, sollten Anträge im sog. Ersten Förderweg („Sozialwohnungen”) gestellt werden.
4. Der lange Weg der Umsetzung
Politische Unterstützung und Hindernisse
Die 1993 von der damaligen Rot-Grünen Stadtregierung verbal und im
kommunalpolitischen Wahlkampf signalisierte Unterstützung (z.B. Bauland und
Planungshilfe) erfuhr durch einen Koalitionswechsel zu Rot-Schwarz 1996-1998 eine
vollständige Unterbrechung. Das Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs, der u.a.
auf unsere Initiative hin zu Stande gekommen war (Schwerpunkte: verkehrsarm,
ökologische und nachbarschaftliche Mindeststandards, Straßenbahnanbindung), wurde
„auf Eis” gelegt. Wir machten uns, wenn auch erfolglos, auf die Suche nach kommunaler
Unterstützung im Umland, bis die Rückkehr zu „Rot-Grün” 1998 die ruhende
Bebauungsplanung für das in Betracht kommende Baugebiet sowie konstruktive Gespräche
mit dem Stadtplanungsamt wieder aufgenommen werden konnten.
Eine Auseinandersetzung um die Änderung der städtischen Stellplatzsatzung fiel in die
Phase des Kommunalwahlkampfs 2002 und führte, nicht zuletzt als Erfolg einer von uns
organisierten öffentlichen Veranstaltung, zu einer Experimentierklausel in der
Stellplatzsatzung, die erstmalig in Hessen für autofreie Haushalte die Aussetzung der
Stellplatzkosten erlaubt.
Trotz aller Unterstützungsbereitschaft einiger Ämter ist es uns – im Unterschied zu
Städten wie Tübingen und Freiburg – nicht gelungen, eine ämterübergreifende
Koordinierungsstelle für Beratung und Entwicklung in dem neuen Baugebiet zu
erreichen. Dies hatte langwierige, zeitbindende und kräfteraubende Planungs- und
Abklärungsarbeit und nur schrittweise Genehmigungen zur Folge.
Fachliche Beratung
Für die realistische Entwicklung unserer Vorstellungen benötigten wir kompetente
Finanzierungs- und Architektenberatung, für die wir ein in der Passivhaustechnik
bereits erfahrenes Planungs- und Architekturbüro in Darmstadt gewinnen konnten.
Die Hürde mit den Banken
Obwohl die internen Finanzierungszusagen der bauwilligen Mitglieder und die
Aussicht auf öffentliche Förderung der geplanten Sozialwohnungen gesichert
erschienen, schreckten angesprochene Banken vor allem vor der für jedes Bauvorhaben
notwendigen Zwischenfinanzierung zurück bzw. verlangten eine unverhältnismäßig hohe
Zinsleistung, die wir nicht übernehmen konnten. Erst ein „selbstgestricktes”
Finanzierungsnetz aus individuellen Förderkrediten, aus einer bankengarantierten
Bürgengemeinschaft der Mitglieder und schließlich einer Gesamtfinanzierungszusage
einer kleinen Bank erlaubte uns den den Abschluss mit dem Planungs- und
Architekturbüro, der individuellen Kaufverträge sowie die Beschaffung des
Eigenkapitals für den Antrag auf öffentliche Förderung.
Um das Gesamteigentum aller Wohnungen bei der Genossenschaft zu belassen, gestalteten
wir das Wohnungs-Eigentum in der Form von Dauerwohnrecht. Dies stieß auf große
Vorbehalte bei Banken, die aber überwunden werden konnten.
5 . Die Verwirklichung einer Vision
Mit Baubeginn im Dezember 2002 und dem Einzug der Bewohnerschaft in die 39 Wohnungen unseres ersten Bauprojekts zwischen Juli und Oktober 2003 haben wir den langen Weg von den ersten Diskussionen über die Planung und den Bau unseres Wohnprojekts abgeschlossen. Was zunächst unvorstellbar schien, ist verwirklicht worden: Alle Wohnungen wurden auf die Bedürfnisse und Wünsche der Bewohner abgestimmt und erhielten einen eigenen Grundriss. Fast keine Wohnung gleicht der anderen, sowohl was die öffentlich geförderten Mietwohnungen betrifft, als auch die im Dauer wohnrecht erworbenen Wohnungen. Auch die Gestaltung der Treppenhäuser und Gemeinschaftsräume ist in langen AG-Sitzungen von den BaugenossenInnen bestimmt worden.
Eines unserer wesentlichen ökologischen Ziele, das Gebäude in Passivbauweise zu erstellen, ist verwirklicht worden. Eine hochwertige Wärmedämmung und eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung reduzieren den Heizenergieverbrauch auf ein Minimum. Die inneren Wärmequellen, BewohnerInnen und elektrische Geräte, und die Energieeinstrahlung von außen reichen aus, um im Sommer wie im Winter ein angenehmes Wohnklima ohne separate Heizung herzustellen. Der Jahresheizwärmebedarf wird auf weniger als 15 kWh/qm gesenkt. Sonnenkollektoren sind in Planung.
Was ebenso bedeutsam ist: den Mühen des langen Anlaufs folgt nun für Kinder und Erwachsene, für Menschen mit Behinderung und Ältere eine jetzt schon spürbare, lebendige Praxis der Nachbarschaft und gegenseitigen Unterstützung, die für viele der BewohnerInnen geradezu befreiend zu wirken beginnt.
6. Erste Bilanz
Über zwölf Jahre hinweg hat die Gruppe der Bauwilligen sich regelmäßig, die letzten Jahre im vierzehntägigen Rhythmus getroffen und fast jede wesentliche Entscheidung im Konsens-Prinzip treffen können. Das war nur möglich, weil es eine ausgewogene Mischung von Ziel- und Prozessorientierung gab. Die Arbeit des Vorstandes, der im Wesentlichen die Verhandlungen mit den städtischen Ämtern, mit dem Bauträger und mit den Banken führte, wurde offen und transparent für alle Mitglieder gehandhabt. Umgekehrt wurden auch die Bedürfnisse und Impulse aller Baugenossen gewürdigt, diskutiert und nach Möglichkeit einbezogen. Ein solcher Prozess ist zeitaufwändig, fordert die einzelnen Mitglieder, fördert aber auch zugleich den Zusammenhalt und das Wir-Gefühl. Wir haben im Laufe dieser Zeit nur wenige aus unseren Reihen verloren, aber es sind viele hinzugekommen.
Hilfreich waren dafür auch Work-Shops mit einem externen Moderator, bei denen Visionen, Wünsche und Ängste zur Sprache kommen konnten. Um die Pflege dieses gruppendynamischen und kommunikativen Elements auch nach dem Einzug nicht verkümmern zu lassen, haben wir neben vielen anderen Arbeitsgruppe auch eine AG-Miteinander eingerichtet, die sich um das soziale Zusammenleben kümmert, Feste organisiert und auch Anlaufstelle für Beschwerden und Nöte ist.
WohnSinn eG ist ein soziales Experiment. Einer der wesentlichen Gründe für die Größe des Projekts war die Überlegung, dass zahlenmäßig kleine Gruppen anfälliger sind für destruktive Entwicklungen und Impulse einzelner Mitglieder Aus den Synergien des großen Mittelfeldes heraus können Ausgleiche geschaffen werden. Man muß in einer so großen Gruppe nicht mit allen befreundet sein. Es ist eher wie in einem Dorf, wo jeder lernt, mit mehr oder weniger sympathischen Nachbarn auszukommen, sich anzufreunden oder Distanz zu halten.
Indem wir diese Perspektive von vornherein in unserem generationsübergreifenden Konzept berücksichtigen, können wir nicht nur für uns selbst, sondern auch als gesellschaftspolitisches Modell beanspruchen, innovativ und richtungsweisend zu sein, die Selbstbestimmung unserer Mitglieder in den Mittelpunkt zu stellen und eine dauerhafte Wirkung zu erzielen.
Das Konzept der WohnSinn eG wirkt ansteckend und motiviert. Eine neue Gruppe will sich bereits unserer Genossenschaft anschließen und mit unserer Unterstützung ein zweites Bauprojekt in der unmittelbaren Nachbarschaft errichten. Nicht zuletzt die stetig wachsende Zahl von Besuchergruppen, die über unsere Laubengänge wandern, bestärken uns in der Überzeugung, dass wir eine Antwort auf ein gesellschaftliches Bedürfnis geben können und dass diese Antwort dauerhaft und verantwortbar ist.
Das Projekt ist längst nicht abgeschlossen. Besonders im baulichen Bereich und in der Ausstattung der Gemeinschaftsräume gibt es auf Grund von finanziellen Engpässen noch zu beseitigende Mängel, z.B. fehlt die Ausstattung einer Etage mit behinderten- und altengerechten Türen und die vorgesehenen, jedoch noch nicht finanzierbaren Sonnenkollektoren auf dem Dach.
Darmstadt, Dezember 2003